Auction: SW1008 - Bonds and Share Certificates of the World
Lot: 101
Renaissance AG für für Holz-Architectur und Möbel-Fabrikation. Aktie 200 Thaler, Berlin, 19. Juni 1872. Gründeraktie. Nr. 1455. 1855 gründeten die Brüder Siegfried und Louis Lövinson eine Möbelfabrik in Berlin an der Brüderstrasse 9. Diese spezialisierte sich auf Möbel in den Formen des deutschen Frühbarock und der Neugotik aus massivem Eichenholz mit teils überbordenden Schnitzereien. Diese Idee, in der Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts, war eine klare Produktnische. Sie bescherte dem Unternehmen einen fast kometenhaften Aufstieg zum grössten deutschen Möbelhersteller der 1860er Jahre. Es wurde zum Lieferanten fast aller regierenden europäischen Fürstenhäuser und feierte mit den Produkten grossen internationalen Erfolg auf den Weltausstellungen 1862, 1867 und 1873. Bald wurden Dependancen in St. Petersburg und London errichtet. 1861 wurde die Fabrik in die „Renaissance, Kommandit-Gesellschaft für Holzschnitzkunst“ umgewandelt. Der Name Renaissance sollte, so die Firmengründer, nicht nur als Stilbegriff zu deuten sein, sondern auch einen merkantilen und sozialen Anspruch dokumentieren. Zum Konzept gehörte, die Beschäftigung ehemaliger Strafgefangener sowie die Einrichtung von Werkstätten in den Gefängnissen. Der Lövinson’sche multifunktionale Stuhl für Raucher war das früheste, belegbare Möbel und wurde eines ihrer erfolgreichsten Modelle, daneben waren auch kleinere geschnitzte Kunstwerke, wie das sogenannte "Humboldt Schreibzeug" ein großer Erfolg. 1871 wurde die Kommanditgesellschaft in eine AG mit einem Grundkapital von 500‘000 Taler umgewandelt. Es wurden 2.500 Aktien zu je 200 Taler ausgegeben. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Siegfried Lövinson, Robert Kemnitz und Dr. Julius Frühauf, deren Faksimile-Unterschriften sich auf dem Stück befinden. Die Firma war eine der ersten dauerhaft börsennotierten Berliner AG's aus dem industriellen Bereich. Wie schon so oft: Die Erwartungen waren gross (im Prospekt wurden Dividenden von 14 Prozent zugesichert), in Wirklichkeit ging es mit der Gesellschaft schon bergab. Die Euphorie der Gründerjahre war vorbei. Schwere, verschwenderisch geschnitzte Eichenmöbel waren nicht mehr „en vogue“. Holzmöbel wurden immer mehr in Massen produziert. Dies hatten jedoch die Direktoren der Gesellschaft noch nicht begriffen und bewilligten sich weiterhin grosszügigste Gehälter. Zu Reichtum gekommen, beteiligte sich Siegfried an verschiedenen Immobilienspekulationen. Er erwarb beispielsweise das ehemalige Kavalierhaus des Charlottenburger Schlosses und das Schloss und die Domäne Steglitz. Er verkaufte auch der Renaissance für 280.000 Taler Grundstücke an der Holzmarktstrasse, die er vorher für 160.000 Taler erworben hatte, in der falschen Hoffnung, dass die Berliner Stadtbahn die Häuser akquirieren würde. Diese blieb auf dem großen Areal sitzen. Schnell stellten sich die Verluste ein; im Jahr 1874 waren es schon 112.000 Taler. An der GV 1875 kam es zu Enthüllungen über grössere Unregelmässigkeiten. Die Aktionäre riefen den Staatsanwalt an und die Untersuchungen begannen. Das Unternehmen erlebte das Ende der 1870er Jahre nicht mehr. Siegfried Lövinson wird später Eigentümer der Gasanstalt von Eisleben und Inhaber der Patent-Hufeisenfabrik. Louis Lövinson avancierte zum Verleger, gab die Allgemeine Börsenzeitung heraus und wurde Eigentümer der schlesischen Porzellanmanufaktur Tiefenfurt. Quelle: Jörg Meiner: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Sonderdruck aus Band 64/2010 EF.
Estimate
SFr800 to SFr1,200